Europa

Die EWG und deren Perzeption in der deutschen Öffentlichkeit

von Björn Böhling

4.6 DER SPIEGEL

Das Nachrichtenmagazin „DER SPIEGEL“ erschien 1955 wöchentlich mit einer Auflage von 230.000 und 1960 von 404.000 Exemplaren. Diese relative hohe Auflagenzahl ist der Grund, warum er hier als einzige Zeitschrift Beachtung findet.

In der Ausgabe vom 3. April 1957 berichtete auch „DER SPIEGEL“ über die Unterzeichnung der römischen Verträge.[78] Die kritische Einstellung des Organs ist schon nach den ersten Zeilen zu bemerken, wenn es z.B. hieß: „Klein-Europas Staatsmänner unterzeichneten das Vertragswerk, dass die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und einer europäischen Atomgemeinschaft vorsieht.“[79] Dass das Europa der EWG ‚nur’ als kleiner Teil und nicht (wie vielleicht erhofft?) als Ganz-Europa abgewertet wird, ist deutlich. Nach optimistischen Stimmen kam auch ein britischer Korrespondent zu Wort, der auf den bis zur Unterzeichnung noch unklaren Wortlaut des Vertrages hinwies und unabsehbare Folgen für die Wirtschaft der Teilnehmer sah. „DER SPIEGEL“ folgte dem, ging besonders auf die unklaren Vertragsformulierungen ein und stellte fest, dass nicht einmal alle Unterzeichner diese kannten. Untermalt wurde dies durch ein Zitat von Bundeskanzler Adenauer, der sagte: „Ich weiß nicht einmal, was ich alles unterschrieben habe.“[80]

Der Gedanke, dass dieser Vertrag überhastet abgeschlossen worden sein könnte, war in der Ausgabe vom 10. Juli 1957 erneut zu lesen.[81] Dort wurde nur kurz über die Ratifizierung berichtet. Dem schloss sich allerdings ein langer Bericht über das peinliche Verhalten des Bundestages und einiger CDU-Abgeordneter bei der Grundgesetzänderung für das Atomgesetz an. Erst konnten die schon sicher geglaubten Stimmen von CDU und SPD für das Gesetz nicht zusammenbekommen werden, und dann fiel der CDU auch noch auf, dass der besprochene Änderungsantrag für sie unannehmbare Formulierungen beinhaltete.

Jedenfalls kritisierte „DER SPIEGEL“ die „ungebührliche Hast“, mit der viele Gesetze (u.a. auch die Europa-Verträge) noch vor der Sommerpause verabschiedet wurden.[82]

Ebenfalls in dieser Ausgabe befand sich ein umfangreicher Artikel, der über 7 Seiten lang den Gemeinsamen Markt thematisierte.[83] Es handelte sich um ein Interview mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Dr. Joachim Schöne. Obwohl die SPD schon die EGKS als bloße europäische Teilintegration abgelehnt hatte, sah Schöne das Existieren der Vereinigung nun als Fakt an, die nun zur EWG erweitert werden müsse. Die Begrenzung auf nur sechs Teilnehmer sei trotzdem noch ein Fehler. In dem Artikel wurden die Ziele des Gemeinsames Marktes genannt, aber auch viel Wert auf die Diskussion von Gefahren gelegt, z.B. die Verdrängung von Kleinbetrieben durch die erweiterte Konkurrenzsituation und der Eingriff in bestehende und funktionierende Wirtschaftssysteme. Hauptkritikpunkte der das Interview führenden „SPIEGEL“-Redakteure waren allerdings die Ausnahmeregelungen (besonders für Frankreich), die Frage, ob sich alle Teilnehmer an die Vereinbarungen halten würden und die Sorge, die Deutschen könnten durch finanzielle Unterstützungen an andere Mitglieder (hier explizit angesprochen: Frankreich) und höhere Kosten wegen der zu erwartenden Steigerungen der Zölle zur Kasse gebeten werden.[84]

Obwohl die „SPIEGEL“-Berichte den Anschein geben, die EWG hätte in erster Linie negative oder noch nicht absehbare Auswirkungen, ist der Informationsgehalt äußerst hoch. Dies entsteht u.a. durch die zweiseitige Abbildung des Artikels.[86] Hier wird dem Leser das System Gemeinsamer Markt grafisch näher gebracht, auch wenn die BRD wieder einseitig als diejenige erscheint, die am Ende alles zu bezahlen hat, was natürlich auch nicht ganz widerlegt werden kann. Kritisch muss auch hier angemerkt werden, dass der Hauptartikel nicht zeitgleich zum Termin der Unterzeichnung, sondern erst zur Ratifizierung erschien, obwohl die Menschen auch schon zum 25. März ihre Fragen hatten.

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[78] „Gemeinsamer Markt: Was man alles unterschreibt“, in: DER SPIEGEL vom 3.4.1957, Nr. 14, S. 36-37.

[79] Der Spiegel, 3.4.1957, Nr. 14, S. 36.

[80] Ebenda, S. 37.

[81] Vgl. „Bundestag: Nase verloren“, in: DER SPIEGEL vom 10.7.1957, Nr. 28, S. 13-15.

[82] Der Spiegel, 10.7.1957, Nr. 28, S.13.

[83] Vgl. Brawand, Claus Leo; Wolff, Georg: „’Es ist verflucht teuer’, Ein SPIEGEL-Gespräch über den Gemeinsamen Markt mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Dr. Schöne“, in DER SPIEGEL vom 10.7.1957, Nr. 28, S. 26-32.

[84] Dies geschah auch direkt durch die Überschrift, in der „Es ist verflucht teuer“ unmittelbar mit dem Gemeinsamen Markt in Verbindung gebracht wurde.

[85] Der Spiegel, 10.7.1957, Nr. 28, S. 29 und 32.

[86] Der Spiegel, 10.7.1957, Nr. 30, 31.
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