Europa

Die EWG und deren Perzeption in der deutschen Öffentlichkeit

von Björn Böhling

2.3. Die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) und die Europäische Politische Gemeinschaft (EPG)

Ebenfalls von Frankreich wurde 1951 ein Vorschlag über eine gemeinsame Armee unter einem europäischen Verteidigungsminister vorgestellt. Auslöser dafür waren der sich verschärfende Ost-West-Konflikt, der Ausbruch des Korea-Krieges 1950 und die auf Druck der USA wieder aufgeworfene Frage über deutsche Streitkräfte, die nun aber vor allem aus französischer Sicht unter ein europäisches Kommando gestellt werden sollten.[41] Am 25. Juni 1950 schlug erstmals Winston Churchill in der Versammlung der Europarates die Bildung einer europäischen Armee vor, worüber auf einer Konferenz in New York (12.-18.9.1950) zwischen den USA, Großbritannien und Frankreich beraten wurde. U.a. stand das Problem einer deutschen Wiederbewaffnung und Teilhabe an der Armee auf der Tagesordnung. Man einigte sich und schon im Oktober stellte der französische Ministerpräsident René Pleven einen Vorschlag vor, der als Verhandlungsgrundlage für eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) diente. Dieser Vertrag wurde am 27. Mai 1952 von den sechs EGKS-Staaten unterzeichnet und in einigen Parlamenten gebilligt.

Von der Euphorie des Erfolgs getragen sollte nun der endgültige Schritt in Europa getan werden, der Schritt zu einer Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) mit gemeinsamen politischen Organen, um die Staaten politisch und wirtschaftlich zusammenzuführen. Doch der Wille zu so einer tiefgreifenden europäischen Integration war noch nicht bei allen Teilnehmern vorhanden. Der Ost-West-Konflikt, der vor kurzem noch ein Grund für die Diskussion über eine EVG gewesen war, entspannte sich. Die Notwendigkeit einer gemeinsamen Armee gegen die Sowjetunion wurde zusehends in Frage gestellt, und eine Kontroverse über die Wiederbewaffnung der deutschen Bundeswehr verdrängte die Angst vor dem Osten. Gasteyger berichtet von einem gezielten Schachzug der sowjetischen Politik, indem die Verhandlungen über Deutschland und Europa just in dem Moment wieder aufgenommen wurden, als die Gefahr bestand, die westlichen Staaten Europas könnten sich zu einer Militärallianz gegen die UdSSR zusammenschließen.[42] Weidenfeld sieht auch einen noch nicht genug ausgeprägten Europa-Gedanken, denn „Zu groß wäre offenbar der nationale Souveränitätsverzicht gewesen, als dass er sich zu diesem Zeitpunkt mit der Unterschiedlichkeit des europäischen Selbstverständnisses hätte vereinbaren lassen.“[43] Die politische Folge blieb nicht aus. Im August 1954 verweigerte die Französische Nationalversammlung die Ratifizierung.[44] Die EVG war gescheitert.[45] Das Parlament stellte sich gegen die Vorhaben der eigenen Regierung, worauf die anderen Länderparlamente nicht mehr zur Abstimmung übergingen. Mit dem Scheitern der EVG war auch das weiterführende Ziel der EPG verloren, und mit der EPG war die schon fertig ausgearbeitete europäische Verfassung nichtig geworden.[46] Nach heutigem Kenntnisstand ist bekannt, dass erst im Jahre 2002, also nach mehr als 50 Jahren wieder ein ernsthafter Versuch unternommen werden sollte, um den europäischen Völkern eine gemeinsame Verfassung zu geben.

Obwohl der Integrationsprozess erst einmal gestoppt war, konnte der politische Wille zur engen Zusammenarbeit doch nicht gebrochen werden. Die sechs Montanstaaten suchten nach einem Ausweg, der ein schrittweises Vorankommen ermöglichte. So kehrte man dorthin zurück, wo der Integrationsprozess begonnen hatte, auf das Gebiet der Wirtschaft.

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[41] Vgl. Fritzler, Unser 2001, S. 20 und Hillgruber, Andreas: Europa in der Weltpolitik der Nachkriegszeit (1945-1963), 3. neu barb. Aufl., München 1987 1987. S. 57. Graml stellt die Situation um den Korea-Krieg zum Greifen nahe da, er sagt: „ Die Frage [einer militärischen Einigung; B.B.] gewann den Anschein der Unaufschiebbarkeit, als der Korea-Krieg, den der nordkoreanische Überfall auf das erst im Juni 1949 von den USA geräumte Südkorea am 25. Juni 1950 eröffnete, auch in Westeuropa eine neue Welle der Furcht vor dem sowjetischen Imperialismus aufschäumen ließ.“ (Graml 1983, S. 77)

[42] Vgl. dazu auch Loth, Wilfried: Europa nach 1945: Die Formation der Blöcke, in: Benz, Wolfgang; Graml, Hermann (Hrsg.): Europa nach dem Zweiten Weltkrieg 1945-1982, Das Zwanzigste Jahrhundert II, Frankfurt a.M. 1983, S. 50ff. Loth bezeichnet die sowjetische Politik während der EVG-Verhandlungen folgendermaßen: „Indessen versuchte nun die Sowjetführung, der Entwicklung zu einem rüstungsintensiven, das wahre Potential voll erschließenden Militärblock an der Westgrenze ihres Imperiums die Spitze abzubrechen, indem sie den Westdeutschen die Wiedervereinigung ihres Landes zu erheblich günstigeren Bedingungen als bisher in Aussicht stellte und sich auch im übrigen wieder betont kooperativ und entspanntbereit gab.“ (S. 50)

[43] Weidenfeld 2002, S. 23. Obwohl der sowjetische Versuch nicht von Erfolg gekrönt war, sorgte er doch in Frankreich und Großbritannien für vage Hoffnungen auf einen Abbau der Ost-West-Konfrontation und sie erwogen eine ernsthafte Prüfung der sowjetischen Angebote.

[44] Zur französischen Innen- und Europapolitik zur Zeit der EVG siehe genauer den Artikel von Klaus-Dietmar Henke in: Benz, Wolfgang; Graml, Hermann (Hrsg.): Europa nach dem Zweiten Weltkrieg 1945-1982, Das Zwanzigste Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1983, S.108-124.

[45] Militärisch schutzlos blieb Westeuropa allerdings nicht. Es kam zu einer Verbindung und Verträgen zwischen den Staaten und der NATO sowie der WEU, worauf aber in diesem Rahmen nicht genauer eingegangen wird. Auf alle Fälle bezeugt die Einbindung der Bundesrepublik, dass es vor allem Frankreich nicht mehr um die Frage einer deutschen Bewaffnung und eines deutschen militärischen Beitrags ging, sondern dass allein Fragen der Supranationalität über das Nein zur EVG entschieden hatten (vgl. Graml 1983, S. 79f).

[46] Des Weiteren sollte die neue Gemeinschaft über Zuständigkeiten im Montanbereich, in Verteidigungsfragen verfügen, sowie die Koordinierung der Außenpolitik der Mitgliedsstaaten sichern. Die Ziele waren die Entwicklung des gesamten Marktes, die Anhebung des Lebensstandards und die Steigerung der Beschäftigung. Nach der Verfassung sollte es ein Parlament mit zwei Kammern, einen Exekutivrat, einen Rat der nationalen Minister, einen Gerichtshof und einen Wirtschafts- und Sozialrat geben (vgl. Weidenfeld, Wessels 2001, S. 15).
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